GB: Im Vorhof der Hölle

April 3, 2010

Für die am 2. Juni 2010 erscheinende Wildcat 87 wurde ein Artikel über Großbritannien geschrieben, der Krise, Klassenkampf, Rassismus, Überwachung/Repression und Vereinzelung zusammen zieht. Erwartet uns dasselbe?

Im Vorhof der Hölle

Die Wirtschaft ist in der Krise, so wie es sich in einem wirtschaftlichen Krisengebiet gehört
Elfriede Jelinek

Manchmal, Stimpy, staune ich über dein reiches Unwissen!
Ren Hoek

Statistik von Credit Action UK, Februar 2010:
Jeden Tag werden 1841 Beschäftigte entlassen (auf dem Höhepunkt im August 2009 waren es 3300 pro Tag), alle 11,4 Minuten wird eine Wohnung zwangsgeräumt, alle 3,69 Minuten meldet jemand Privatinsolvenz oder Bankrott an, jeder Haushalt hat durchschnittlich 58.040 Pfund Schulden, jeden Tag steigt die Staatsverschuldung um 384,9 Millionen Pfund.

Im April 2009 gab das britische Justizministerium Pläne für den Bau einer neuen JVA mit 1500 Plätzen auf dem Gelände des früheren Ford-Werks in Dagenham bekannt.1 Besser hätte man nicht zusammenfassen können, was das Proletariat von der herrschenden Krisenpolitik zu erwarten hat. Aber am Fortgang der Geschichte zeigt sich auch die gleichzeitige Eindämmung und Vertiefung der sozialen Spannungen im Lauf des letzten Jahres. In Dagenham hat der Staat nach einer großen Kampagne des dortigen Labour-Abgeordneten und des Stadtrats letztlich im Einzelfall nachgege­ben: Dieses konkrete Gewerbegebiet wird also nicht von einem Knast verschandelt, aber anderswo sind weiterhin genau dieselben Projekte geplant, und die Regierung wird ihr »Versprechen« halten und 96.000 Menschen einsperren. Die Wildcat-These vom März 2009 – »die Krisenmaßnahmen der Herrschenden zielen bisher nicht auf einen Wiederaufschwung, sondern darauf, politisch zu über­leben«2 – hat sich inzwischen praktisch bestätigt. Für ArbeiterInnen und LeistungsempfängerInnen geht die materielle Verschlechterung des Lebens weiter: Hunderttausende haben Job, Lohn, Wohnung, Arbeitslosenunterstützung, öffentliche Dienstleistungen und vor allem den sicheren, zukünftigen Anspruch darauf verloren. Aber die Auswirkungen kommen zeitlich und räumlich gestreckt an und betreffen immer nur einzelne sich selbst als solche verstehende soziale Gruppen. Dementsprechend uneinheitlich waren die bisherigen Kampfversuche. Gesellschaftlich konzentrier­te – und somit kollektiv erfahrbare – »Schocks« wurden auf eine nahe, aber unbestimmte Zukunft vertagt. Anscheinend ist die Erfahrung, selber von einem »aufstrebenden« (aspirational3) über einen proletarisierten zu einem »sozial ausgegrenzten« Status (den Knast vor Augen) abzustürzen, noch nicht so weit verallgemeinert, dass der verbreitete Glauben erschüttert würde, wer abstürzt, sei mindestens zum Teil selber schuld.

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